Mein Buch des Jahres 2012

„Schloss Gripsholm“ – eine Sommergeschichte von Kurt Tucholsky, Rowohlt, 1931

Der Verleger Ernst Rowohlt wollte für einmal von Kurt Tucholsky kein politisches Buch, sondern eine Liebesgeschichte. Tucholsky wandelte den Auftrag in eine Sommergeschichte um und schrieb einen amüsanten, lockeren Roman über die Ferien mit seiner „Prinzessin“ in Schweden auf Schloss Gripsholm. Die Konservation zwischen den beiden mäandriert in plattdeutsch und deutsch dahin und ist trotzdem mühelos verständlich.

Tucholsky hat allerdings eine schreckliche Episode in den Roman eingebaut. Die beiden werden auf ein verzweifeltes Mädchen aufmerksam, das sie aus der Herrschaft einer sadistischen Direktorin des Ferienheims befreien wollen. Auf der Wiese in der Nähe des Heims liegend, sieht er plötzlich ein riesiges ovales Rund und eine Arena mit tausenden von Köpfen erscheint vor ihm. Tief unten in der Mitte hängt einer am Kreuz und ein Panther reisst ihm ein Stück Fleisch nach dem andern vom Leib. Durch ein Gittertor werden vier zitternde Männer und eine Frau gestossen, auf welche ein paar Tiger und Löwen, angehetzt mit brennenden Holzscheiten, angetrieben werden. Während der ganze Zirkus sich in Sicherheit auf den Sitzen „in Grausamkeit und Entzücken badet“ ob der Verzweiflung, des Zuckens von lebendigem Fleisch, des Schreiens, sitzen in der untersten Reihe der Arena unberührt ob des Spektakels Senatoren mit ihren Frauen, höhere Heersführer und reichen sich gelassen Konfekt aus kleinen Döschen.

„Alles, aber auch alles, was der Tag an Geducktheit, an Unterdrückung, an Wunschträumen und nicht auszuübende Wollust in diese Bürger und Proletarier hineingepresst hatte: hier konnte es sich austoben. …Wie eine spitze Stichflamme stieg die Lust aus den viertausend Menschen … sie waren die Raubtiere, die die Menschen da unten zerfleischten und sie waren die Zerfleischten. … Hier floss ab, was an verbrecherischer Lust in den Menschen war – nun würden sie selbst so schnell keinen mehr ermorden; die Tiere hatten es für sie getan. Nachher gingen sie in den Tempel um zu beten. …“

In nur fünfeinhalb kleinen Seiten sieht hier Tucholsky schon 1930 den Schrecken der Nazizeit mit seinen menschlichen und gesellschaftlichen Gräuelheiten in Deutschland voraus, die in ihrer Klarheit der Zeit voraus waren. In den restlichen 230 Seiten wird der Roman seinem Titel „Eine Sommergeschichte“ gerecht. Umso mehr gräbt sich einem Tucholskys Tagtraum ein als ein Schreckensszenario, das wir selbst heute noch nicht überall aus der Welt geschafft haben. In der Sommergeschichte selbst vermögen Tucholsky und seine „Prinzessin“ das Mädchen von der tyrannischen Heimleiterin zu seiner Mama nach Zürich zurückführen. Momentanes Happy-end.

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